Archiv des Autors: Hannibal

Alaska

  • Ziel: Alaska – Fairbanks, Dalton Highwaya, Coldfoot, Arctic Cyrcle, Deadhorse, Talkeetna, Anchorage, „Magic Bus“, Stampede Trail, Denali Highway, Valdez, Kenai Halbinsel, Skilak Lake
  • Reisezeit: 11.08-25.09.2012
  • zurückgelegte Strecke: ~5.000 KM
  • Moppeds: Montero 250ccm (La Naranja und La Negra)



Eintrag aus dem Tagebuch:

13.08.2012 – Dalton Highway

… Nachdem dann auch noch Ersatzkanister und eine lange Unterhose besorgt sind (Johannes hat eine Blasenentzündung), steht der letzten großen Etappe Richtung Norden nichts mehr im Wege. Es trennen uns noch ca. 800 KM bis wir Deadhorse, die am nördlichsten gelegene und befahrbare Stadt Alaskas, erreicht haben. Im Prinzip sollte das ja kein Problem sein, allerdings sind von den 800 KM etwa 600 KM Schotter- und Dreckstraße und in der Mitte gibt es nur ein kleines Dorf namens Coldfoot mit etwa 12 Einwohnern, einem kleinen Restaurant und einer Zapfsäule. Unterwegs passieren wir außerdem den berühmten „Yukon-River“ und den „Arctic Circle“, den nördlichen Wendekreis. Dies ist der Breitengrad, ab welchem es im Sommer Tage ohne Nächte und im Winter Nächte ohne Tage gibt.
Wir sind also auf unserem Weg nach Norden, das Wetter ist gut und alles ist halb so spektakulär wie es sich anhört. Die Straße ist bis auf ein paar Stellen gut befahrbar und die Landschaft schön und abwechselungsreich. Wir treffen hier und da andere Biker, die auch etwas Abenteuer erleben wollen. Hauptsächlich wird die Straße aber von riesigen LKW’s befahren, die Deadhorse (eine Ölbohrstadt von BP) und die Ölpipeline, die entlang der Straße verläuft, mit Ersatzteilen versorgen. Die LKW’s lassen es meist richtig krachen und so passiert es häufiger, dass wir von einer riesigen Staubwolke geschluckt werden.

14.08.2012 – Deadhorse

Wir übernachten kurz hinter Coldfoot und nehmen direkt am nächsten Tag die letzte und größte Etappe unter die Räder. Der größte Abschnitt „Nirgendwo“, den ich jemals gefahren bin. Zwischen Coldfoot und Deadhorse gibt es nämlich genau nichts. 400 KM Schotterstraße ohne Tankmöglichkeit. Doch wir sind vorbereitet. Gegen Abend, 60 KM vor unserem Ziel dann der erste große Schock. Ein kurzes aufheulen meines Motors, ein lauter Schlag und dann nur noch ausrollen. Das hörte sich gemein an. Die Kette ist unten und hat sich vorne zwischen Ritzel und Getriebegehäuse geklemmt. Mit etwas gezielter Gewalt wird die Kette befreit und nochmal Glück gehabt, kein Riss im Gehäuse und das Lager ist auch noch ganz. Ein paar Kratzer im Alu, das war’s. Kette wieder drauf und weiter geht’s. In Deadhorse angekommen macht sich dann doch etwas Entäuschung breit. Wir hatten ein nettes „Willkommen“ Schild erwartet und vielleicht jemand, der mit einem dampfenden Kaffee und ein paar Keksen auf uns wartet und sagt: „Herzlichen Glückwunsch, Sie sind gerade auf zwei kleinen Schrottmoppeds von Südamerika bis ans Ende der Welt gefahren!“.

Tatsächlich stottern wir aber durch eine Art riesiges, unübersichtliches Industriegebiet, es ist kalt und regnet leicht. Wie wir nach etwas Rumfragen herausfinden, ist der soziale Mittelpunkt der „Stadt“ ein funktionaler Containerbau, welchem jemand den Schriftzug „Hotel“ verpasst hat. Da drin erschnorren wir uns dann tatsächlich einen kostenlosen Kaffee und können uns etwas aufwärmen. Das Ganze hat etwa den Charme, den man erwartet von einem Ort, an dem sich eigentlich nur Ölplattformarbeiter und ein paar Jäger aufhalten.
Also schnell einen Sticker verklebt, ein paar Bilder gemacht und dann schnell wieder weg von diesem unwirklichen Ort.
Es ist zwar nicht dunkel, aber bereits spät und so suchen wir uns einen netten Platz an einem Fluss, der später von uns auch noch zur eiskalten Körperhygiene missbraucht wird. Das ist, unserem männlichen Geruch nach zu urteilen, auch bitter nötig. Tatsächlich sind wir jetzt soweit im Norden, dass es in dieser Nacht einfach nicht mehr dunkel wird. Da es aber ja sowieso dunkel ist, wenn man die Augen schließt und wir ohnehin müde genug sind, stören wir uns nicht weiter daran und schlafen schnell ein.

15.08.2012 – Auf dem Zahnlfeisch

Am nächsten Morgen kürze ich erstmal meine Kette um zwei Glieder, da der Kettenspanner bereits am Anschlag ist. Das Wetter ist leider überhaupt nicht gut und so verwandelt sich der leichte Regen, im Laufe des Tages, in stärkeren Regen. Das sehr zuverlässige, orangene Motorrad verweigert allerdings plötzlich den Dienst. Nach dem wechseln der Zündkerze läuft sie aber auch schon wieder. Dafür hält es jetzt mein Motorrad aber irgendwie nicht mehr für nötig anzuspringen. Nach langem rumgebastel, willkürlichem überbrücken von Steckverbindungen und dem Zerlegen des Kabelbaums in seine Bestandteile am Straßenrand, läuft sie auf einmal wieder. 25 KM später stellt Johannes fest, dass er am Rucksack vergessen hatte ein Fach zu schließen. Leider das Fach, in dem der iPod verstaut war.

Wir fahren zurück und suchen ihn, leider ohne Erfolg. Das kostet uns 50 KM von unserer Tankreichweite, ich bin aber trotzdem noch zuversichtlich, da meine Kalkulation immer noch aufgeht. 30 KM später, ein Ruck, ein Schlag und mein Hinterrad blockiert. Die Kette hat sich wieder vom Kettenrad, welches inzwischen wie ein Sägeblatt aussieht, verabschiedet. Diesmal hat sich die Kette allerdings zwischen Kettenrad und Schwinge verklemmt und ist dadurch an drei Stellen stark verbogen. Das sieht schlecht aus, die Kette geht nicht mehr rum. Mit Hilfe von zwei Schraubendrehern, vergewaltige ich die Kette wieder annähernd zurück in ihren Originalzustand. Damit die Kette nun keinen Abgang mehr macht, muss ich sie viel zu stark vorspannen. Ob dies das Getriebeausgangslager mitmacht, bleibt jedoch mehr als fraglich.

Wir schleichen weiter und ich versuche jegliche starke Belastung zu vermeiden. Es regnet und ist dreckig wie Sau. Der Schlamm hat auch die Bremsbeläge unserer beider Hinterradbremsen dazu veranlasst, komplett zu verschleißen. Die Orangene fängt wieder an zu stottern, wir schaffen es noch über einen Pass, doch am Fuß des Berges läuft die Orangene schon gar nicht mehr an. Und auch mein sonst so treues Pferd bekommt Aussetzer und will schließlich nicht mehr anspringen. Wir sind also dazu gezwungen, an Ort und Stelle zu campen. Alles ist dreckig, nass und kalt. Kein Wunder, dass hier niemand mehr wohnen möchte.

Die Hoffnung, am nächsten Tag in Sonnenstrahlen aufzustehen und dann davonzureiten, wird vom Regengeräusch auf dem Zelt zunichte gemacht. Wir fangen also an wie die Wilden an den Moppeds rumzuschrauben, überbrücken hier und da Kabel und es passiert nichts. Zündstrom ist da, allerdings viel zu schwach. Wie wir später an einer Baustelle erfahren, schütten die Baufirmen in dieser Gegend irgend ein Calciumsalz auf den Boden, um den Schlamm zu stabilisieren. Leider ist dieses Salz auch sehr aggresiv und bringt wohl irgendwie unsere Lichtmaschinen dazu, nicht mehr genug Strom zu produzieren. Das einzige was hilft ist Warten und immer und immer wieder versuchen zu Starten. Nachdem die Orangene auf einmal wieder anläuft, nimmt sich mein Motorrad dies als gutes Beispiel und läuft wenig später auch wieder. Wir kommen immerhin fast 30 KM weit, bevor beide wieder zu viel Salzschlamm gefressen haben und fast zeitgleich ausgehen. Die Symptome sind tatsächlich ähnlich wie damals in Bolivien auf dem Salzsee.

Die Orangene erwacht wieder zum Leben, Johannes schleppt mich ein paar Kilometer ab, bevor das Motorrad wieder ausgeht. Dafür startet jetzt meine wieder, ich schiebe Johannes ein paar Kilometer, bevor wieder beide nicht mehr laufen. Da ich so dicht hinter dem dreckschleudernden, orangenen Motorrad herfahren musste, habe ich leider ein, zwei Dreckspritzer abbekommen, meine Augen brennen – was meine Stimmung auch nicht gerade bessert. Immerhin hat es inzwischen aufgehört zu regnen. Hier ist der Punkt erreicht, wo ich ernsthaft anfange darüber nachzudenken, ob es Sinn macht, weiterzufahren oder ob wir die Moppeds hier zurücklassen müssen. In Gedanken schiebe ich mein Motorrad schon hinter den nächsten Dreckhügel und stecke es in Brand, um ihm in Ehrfurcht Lebewohl zu sagen…

Wir sitzen erstmal beide etwas distanziert und schweigend auf dem Boden, geben uns unserem Schicksal hin.
Doch fassen wir noch einmal neuen Mut und nach etlichen, verzweifelten und kraftraubenden Versuchen (die Kickstarter sind bei beiden schon schwer verbogen und mein Fuß schmerzt vom vielen kicken, ich keuche von den vielen Versuchen sie im Dreck anzuschieben) laufen beide Maschinen schließlich doch wieder an. Glücklicherweise ändert sich der Dreck, von Dreck mit Salz, zu Dreck ohne Salz und die Maschinen hören auf ständig auszugehen. Dafür wird plötzlich der Sprit knapp, so knapp, dass wir es nicht mehr bis zur Tankstelle schaffen. Erklären kann ich mir den mit großem Abstand, höchsten und auf der Reise je gehabten Spritverbrauch nur dadurch, dass wir in Deadhorse minderwertigen Sprit getankt haben. An einem Straßenbauarbeitercamp erklärt sich ein netter Mann, auch Motorradfahrer, dazu bereit, uns ein paar Liter Sprit zu schenken. Das Problem wäre geklärt. Allerdings fängt meine Kette nun an, alle 5 KM runterzuspringen. Die Ursache dafür ist schnell gefunden, eine Lasche ist bereits einseitig gebrochen. Ganz vorsichtig schaffen wir die letzten paar Kilometer bis Coldfoot. Ich bin erledigt. Es ist bereits halb neun abends und wir haben nach einem ganzen Tag auf der Straße etwa 100 KM geschafft. Im Restaurant gibt es All-you-can-eat-Pizza und so stopfen wir uns erstmal richtig voll, gegessen haben wir bis auf einen Müsliriegel nämlich auch noch nichts.
Mir ist schnell klar: Mit meiner Kette die restlichen 400 KM zu fahren ist schlichtweg unmöglich und die Warscheinlichkeit in Coldfoot eine neue Kette zu finden, ist etwa so hoch, wie die, einen warmen Whirpool zu finden, den ich in dem Moment wirklich auch gerne gehabt hätte. Nach etwas Rumfragerei, finde ich Trucker Mike, der Teile für die Ölfirma von Deadhorse nach Fairbanks fährt. Er erklärt sich bereit, mein Mopped hinten, zu seiner Ladung von verschlissenen Ölbohrerverlängerungen, auf die Plattform zu schnüren und ich darf im Führerhaus neben ihm auf dem Boden Platz nehmen. Johannes, dessen Motorrad noch läuft, lasse ich mit allem Werkzeug und den besten Glückwünschen zurück. Wir verabreden uns für den nächsten Abend bei McDonald’s in Fairbanks. Ich rase mit Mike durch die Nacht und er erzählt mir allerhand Interessantes und gibt mir gleich auch noch einen guten Tipp, wo ich eine neue Kette herbekomme. Kurz vor 4 Uhr Morgens laden wir mein Motorrad auf dem Walmart Parkplatz in Fairbanks ab und da ich sowieso nicht mehr fahren kann, schlafe ich direkt dort auf dem Grünstreifen, zwischen Parkplatz und Straße, den Kopf neben meinem Vorderrad.

16.08.2012 – Zurück in der Zivilisation

Da ich immernoch unglaublich dreckig bin und nach vier Stunden Schlaf neben einer Hauptstraße vermutlich auch nicht taufrisch aussehe, passiert es, dass mir von einem vorbeilaufenden Typen tatsächlich erklärt wird, wo die Suppenküche von Fairbanks ist und wie die Öffnungszeiten sind. Dafür bin ich aber dann doch noch nicht bereit und kaufe mir lieber bei McDonald’s ein minderwertiges Frühstück. Den Rest des Tages schlage ich damit tot, im McDonald’s ins Internet zu gehen und auf dem Walmart-Parkplatz herumzulungern. Ich habe die Hoffnung schon fast aufgegeben meinen Reisekameraden nochmals wiederzusehen. Es ist bereits fast neun Uhr abends und in mir steigt die Vermutung, dass entweder sein sehr zuverlässiges Motorrad abgebrannt ist, er von einem Grizzly verspeist wurde oder aber er unterwegs seine Traumfrau getroffen hat…